Lotsen werben für mehr Mut zur Inklusion
Viele Betriebe beschäftigen keine Menschen mit Behinderung und müssen Ausgleich zahlen
Hofheim - Alaverdi Turhan und Christof Groß haben im Main-Taunus-Kreis eine Lotsenaufgabe, die vielen völlig unbekannt sein dürfte. Die beiden arbeiten für die EAA, das ist die Abkürzung für die Einheitliche Ansprechstelle für Arbeitgeber. Wie der Name sagt, sollen Unternehmen durch die Einrichtung dieses Fachdienstes nicht mehr „von Pontius zu Pilatus“ müssen, wenn es darum geht, Informationen und Unterstützung rund um die Beschäftigung eines Menschen mit Behinderung zu erhalten. „Es ist gesetzlich vorgeschrieben, dass es uns gibt“, sagt Christof Groß und verweist auf das Sozialgesetzbuch IX, das die Grundlage für die EAAs liefert.
Ihre Aufgabe: Unternehmen darüber zu informieren und zu beraten, wie sie alle möglichen Unterstützungsleistungen nutzen können, die der Staat bietet, um die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung zu fördern. „Viele dieser Gelder werden nicht abgerufen“, weiß Christof Groß. Durch eine bessere Information „leisten wir Überzeugungsarbeit“, ergänzt sein Kollege Alaverdi Turhan, der gerade erst im Februar in Hofheim angefangen hat.
Denn tatsächlich ist es so, dass längst nicht alle Betriebe, die im Sinne der Inklusion gesetzlich dazu verpflichtet wären, auch Menschen mit Behinderung zu beschäftigen, dies tatsächlich tun. Alle Arbeitgeber, die die gesetzliche Vorgabe nicht erfüllen, die bei Unternehmen ab 20 Mitarbeitern greift, müssen eine Ausgleichszahlung leisten. Diese müsse „zum Zwecke der Inklusion wieder an die Wirtschaft zurückfließen“, erläutert Groß und kann beachtliche Zahlen nennen. So haben allein im Main-Taunus-Kreis im Jahr 2022 laut Statistik 349 Arbeitgeber insgesamt Ausgleichszahlungen in Höhe von 6,3 Millionen Euro geleistet. Das Geld wird nicht nur eingesetzt, um die EAA zu finanzieren, es speist auch die Fördertöpfe, die all denen zugutekommen, die der gesetzlichen Vorgabe zur Inklusion entsprechen.
Was viele nicht wissen: Es geht nicht nur um Menschen mit angeborenen oder durch Unfälle erworbenen Behinderungen. Gefördert werden kann auch die Beschäftigung von Arbeitnehmern, die irgendwann im Laufe ihres Berufslebens etwa durch eine Krebserkrankung oder ein Herzleiden als schwerbehindert eingestuft worden sind.
Weil über die Gesetzeslage und die Unterstützungsleistungen noch viel Unwissen herrscht, gehen Alaverdi Turhan und Christof Groß „proaktiv“, wie sie sagen, auf die Unternehmen zu. Bei der Recherche, wer Ansprechpartner sein könnte, helfe es, dass er lange als Journalist für die Zeitung „Hürriyet“ gearbeitet habe, sagt Turhan. Der Sozialwissenschaftler stammt aus Duisburg, lebt aber schon länger im Rhein-Main-Gebiet. Er hat sein Büro beim Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft (BWHW), dem Träger der EAA, an der Reifenberger Straße in Hofheim.
Turhan ist Ansprechpartner für den Westkreis mit Hofheim, Kriftel, Eppstein und den drei Städten am Main. Für Groß ist der Dienstsitz Bad Homburg, denn er ist neben dem Ostkreis mit Eschborn, Schwalbach, Sulzbach, Bad Soden, Kelkheim und Liederbach auch für den Hochtaunus zuständig. Veranstaltungen wie der Unternehmerabend in Hofheim sind für die beiden wichtig, um sich und ihre Dienstleistung bekannter zu machen. Die beiden „Lotsen“ wollen aber auch mit eigenen Veranstaltungen möglichst viel an Information an die geben, die bei Bewerbungsgesprächen am Ende entscheiden, ob ein Mensch mit Behinderung eine Chance im Unternehmen erhält.
Das gerade solche Mitarbeiter oft sehr motiviert sind und nicht selten auch besondere Qualifikationen mitbringen, gehört zu den Erfahrungen, mit denen die beiden übrigens auch für mehr Mut zur Inklusion werben. Nicht zuletzt der Fachkräftemangel könnte immer mehr Unternehmen dazu bewegen, unbekanntes Land zu betreten und die EAA um Unterstützung zu bitten. Alaverdi Turhan und Christof Groß wäre es Recht.
Die Einheitliche Ansprechstelle für Arbeitgeber (EAA) steht allen Unternehmen, die Menschen mit Behinderung beschäftigen, beratend zur Seite.
Informationen auf www.eaa-hessen.de.
Artikel von Barbara Schmidt, erschienen am 03.04.2024 in der FRANKFURTER RUNDSCHAU
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