Abhängig, depressiv, verrückt und später doch erfolgreich – Aus dem tiefsten Loch zum Lebenstraum
Lauterbach | Am 16. März war Mathias Wald, Redner für Suchtprävention, im Bildungswerk am Standort Lauterbach zu Gast und erzählte den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme seine Lebensgeschichte. Die Zuhörenden zeigten sich tief bewegt von seinen Erzählungen. Das Ziel, ein Zeichen gegen Drogen zu setzen, hat Mathias Wald damit auf jeden Fall erreicht. Zum anderen gelang es ihm aber auch auf beeindruckende Weise, den Jugendlichen Mut machende Worte mit auf den Weg der Berufsfindung und Selbstverwirklichung zu geben: „Jeder ist der Pilot in seinem eigenen Leben! Man ist nicht der Passagier und sitzt hinten drin. Man sitzt im Cockpit.“
Einen der Teilnehmer berührerte dieses Erlebnis so sehr, dass er interessierte Leserinnen und Leser an der beeindruckenden Lebensgeschichte teilhaben lassen wollte:
Es war der 15. Februar 2003, erinnert sich Mathias Wald. An diesem Tag verlor er sämtliche Motivation, den gesamten Lebenswillen. Er wollte sich das Leben nehmen. Nur eine bestimmte Situation konnte ihn retten. Wald nennt diese Situation „Glück“.
Alles fing bei einem gewöhnlichen Ausflug an. Man saß um ein Lagerfeuer, unterhielt sich. Die Stimmung war gut. Dann, so Wald, ging der Joint rum. Als er gefragt wurde, ob er schon mal gezogen habe, antwortete er mit „Ja“. In Wahrheit hatte er allerdings keine Erfahrung mit dem Rauschmittel. Er zog und fiel in eine Art „Trance“. „Ich konnte nicht mehr aufhören zu lachen, das Gefühl war einfach geil“, erklärt Wald. Wald war damals 17, ein normaler Jugendlicher mit vielleicht etwas ausgefallenem Kleidungsstil, einer positiven Ausstrahlung und viel Humor. Er war „cool drauf“, wie er selbst sagt. Nach seinem ersten Zug sagte er sich: Das muss ich wieder haben! Es war nicht einfach nur der Rausch, er fühlte sich in die Gruppe integriert, er gehörte dazu.
Es war die Zeit der Technobewegung; auch Wald war dabei. Die neuen Sounds waren beliebt bei vielen Jugendlichen. Die Techno-Disco in Nürnberg sollte seine erste engere Begegnung mit dem Musikstil sein. Wald feierte dort mit einigen Freunden. Beliebt bei einigen Fans: Die Party-Droge Amphetamin. Wald bekam Angebote zum Testen. „Ich dachte mir nichts dabei, ich hatte ja alles im Griff; und solange ich alles im Griff habe, ist alles gut“, erläutert er. Auch bei dem baldigen Angebot „Ecstasy“ zu probieren, schreckte er nicht zurück. In den darauf folgenden Jahren war Mathias Wald in verschiedenen Discotheken in Bayern. Schließlich testete er auch Kokain; experimentell.
Die Rauschmittel dienten zum Spaß am Wochenende; sie Werktags zu konsumieren, war ausgeschlossen; anfangs. Als Mathias Wald merkte, dass man mithilfe von ihnen Arbeitsstress – er arbeitete bei einer großen Fabrik – besser verarbeiten kann, begann er, auch außerhalb von Wochenenden Rauschgifte zu konsumieren. Aus dem Gelegenheitskonsumenten wurde mit der Zeit ein Vollzeitkonsument. Es folgte ein Jahr mit massivem Kokain-Konsum. Mittlerweile verzehrte er die Stoffe nicht nur selber, sondern nutzte den Verkauf als Nebenerwerb. „Ich habe mich mit Speed hochgepusht und mit Cannabis runtergeraucht“, erinnert er sich. Nach einigen Wochen meldete sich zum ersten Mal sein Körper. Seine Lunge schmerzte, er konnte nur noch flach atmen. Wald wusste nicht, was los war; er hatte ja alles im Griff. Er hatte Angst sich ärztlich untersuchen zu lassen. Doch nach einer Woche Schmerzen war er gezwungen, zu einem Arzt zu gehen. „Lungenkollaps“ lautete die Diagnose. Durch das viele Rauchen von Rauschgiften war ein Riss in seinem Lungenlappen entstanden. Ab diesem Zeitpunkt war rauchen für Wald tabu; zumindest vorerst. Drogen in Tablettenform bestimmten aber weiterhin seinen Alltag.
An einem ganz normalen Discoabend – einer von vielen dieser Abende – stürmte das SEK das Gebäude. Sie nahmen Wald mit. „Ich wusste nicht, was los war; ich dachte, ich hätte nach wie vor alles im Griff“, sagt Wald. Er kam in U-Haft, ihm wurde der Führerschein entzogen. Nach diesem Vorfall beschloss er, mit dem Dealen aufzuhören. Trotzdem war er weiterhin süchtig. „Ich hatte Türen geöffnet, die eigentlich besser zu bleiben sollten“, erläutert er. Er bekam mittlerweile zeitweise epileptische Anfälle, wurde manisch depressiv und schizophren, begann Stimmen zu hören. In all dem Wahn baute er sich in seiner Wohnung eine Art Raumschiffzentrale, mit der er dachte, die Welt retten zu können. Wald schlief manchmal vier oder fünf Nächte nicht.
Dass ein Mensch so nicht lange leben kann, sollte jedem klar sein. Am 15. Februar 2003 war es soweit. Mathias Wald wollte Suizid begehen. Er erinnert sich noch genau an diesen einen Tag. Er wusste: „Wenn ich durch diese Tür nach draußen gehe, werde ich nicht mehr zurück kommen“. Wald hatte mit seinem Leben abgeschlossen. Die Tür hinter sich geschlossen, wurde er von einem Arbeitskollegen überrascht. „Er stand ungefähr sieben Meter von mir entfernt“. Er muss mitbekommen haben, wie sich Mathias Wald verändert hat. Der Kollege fragte immer wieder, ob er
helfen kann, was los wäre. Wald brach zusammen. Sein Leben lief wie ein Film vor seinen Augen ab. Er sah die schönen Dinge vor der Zeit seiner Abhängigkeit. Mathias sah den Kollegen an und sagte: „Ich habe es verstanden“. Sein Kollege wusste nicht, was Wald meinte, doch diese Person rettete, ohne es wirklich gemerkt zu haben, unter anderem, sein Leben. Er war zur richtigen Zeit am richtigen Ort, hat die richtigen Worte gefunden, um Wald wachzurütteln. Mathias Wald beichtete seinen Eltern noch am selben Tag seine Erlebnisse und seinen wahren körperlichen Zustand, wies sich kurz darauf selber in das nächstgelegene Krankenhaus ein. Seit diesem Tag ist er clean. „Als ich aufwachte, ohne Rausch, fühlte ich mich wie neu geboren. Es war, als bekäme ich meine alte Identität zurück“, erinnert sich Wald. Er begann eine Therapie, welche zwei Jahre dauerte.
Jahre später beschloss er, anderen von seinem Leben mit den Drogen zu erzählen; denn so etwas sollte kein anderer erleben. Heute ist Wald erfolgreicher Unternehmer. Er hat seinen Traum vom Filmemacher und Fotograf verwirklicht. „Jeder kann aus dem tiefsten Loch wieder aufsteigen und seine Träume leben; jeder ist der Pilot seines eigenen Lebens“.
Alles begann mit einem harmlosen Joint – er war 17. Mathias Wald war 12 Jahre drogenabhängig.
verfasst von Jannis Schneider, Teilnehmer der BVB Lauterbach
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