BilDa feiert 10-jähriges Jubiläum
Darmstadt | Rund 6,2 Millionen Erwachsene in Deutschland gelten als funktionale Analphabeten. Sie können einfache Sätze lesen und schreiben. Zusammenhängende Texte, wie Arbeitsanweisungen, Behördenpost oder Handyverträge, erfassen sie jedoch oft nicht. Die Ursachen sind vielfältig: Sie reichen von zu wenig individueller Förderung in der Schule, über fehlende Lese- und Schreibvorbilder und gesundheitlichen Faktoren bis zu hin stetig ansteigenden Anforderungen an Lese- und Schreibfähigkeiten z. B. in der digitalen Arbeitswelt.
Wie alles begann
Bildung erleichtert die Teilhabe an gesellschaftlichem Leben. Wer nicht lesen, schreiben und rechnen kann, ist oft benachteiligt und auf die Hilfe anderer angewiesen. Hier setzt das Projekt BilDa (Bildung in Darmstadt) des BWHW an. Seit Januar 2012 bestehend richtet es sich an gering Literalisierte mit dem Ziel, ihre Kompetenzen kontinuierlich zu verbessern, um so ihre Möglichkeiten im Alltag und ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen.
Der Startschuss für die Lese-, Schreib- und Rechenkurse (auch Lese-, Schreib- und Rechenwerkstatt genannt) fiel am 01.12.2011. An diesem Tag begründeten die Wissenschaftsstadt Darmstadt und die Unternehmerverbände Südhessen das erste hessische Bündnis für Grundbildung. Seit dem Start dieses Bündnisses werden die Kurse im Auftrag der Stadt Darmstadt vom BWHW durchgeführt.
Diese werden nicht nur vor Ort in der Rheinstraße, sondern auch in verschiedenen Stadtteilen Darmstadts für interessierte Bewohner/-innen kostenfrei angeboten. Die Kurse sind inhaltlich an der Lebens- und Arbeitswelt der Kursteilnehmer/-innen orientiert, finden zu unterschiedlichen Zeiten, an unterschiedlichen Orten statt – immer orientiert an den Rahmenbedingungen und Wünschen der Teilnehmer/-innen.
Was konnte in 10 Jahren BilDa erreicht werden?
„Im Rückblick können wir einen stetigen Teilnehmerzuwachs verzeichnen“, sagt Gudrun Freund, pädagogische Mitarbeiterin. „Waren es 2012 zunächst 13, so hatten wir im Jahr 2014 bereits 20 Kursteilnehmer/-innen. Die Zahlen sind über die Projektlaufzeit konstant gestiegen. Im Jahr 2021 haben mehr als 40 Personen unsere Kurse besucht.“
Die Gruppen können von in Darmstadt wohnhaften Menschen zwischen 18 und 65 Jahren besucht werden, ungeachtet davon, ob sie in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, oder nicht. Die meisten der BilDa-Teilnehmer/-innen der vergangen 10 Jahre waren über 40 Jahre alt und hatten einen Migrationshintergrund, so die Statistik.
Der Unterricht fand in den Räumlichkeiten des BWHW Darmstadts sowie in verschiedenen sozialen Einrichtungen statt. Dazu zählen unter anderem das Go In in Eberstatt, die Jugendwerkstatt Grenzallee, das Gemeinschaftshaus Pallaswiesenviertel und das Muckerhaus in Arheilgen.
Aktuell sind bei der Projektumsetzung beteiligt: Gudrun Freund (Schwerpunkt: Alphabetisierung und Grundbildung), Michelle Merbach (Schwerpunkt: Digitale Grundbildung) und Christian Mayer (Medienpädagoge mit dem Schwerpunkt: Video und Technik). Sie werden unterstützt von verschiedenen Lehrkräften. Koordinator ist Yücel Akdeniz, Teamleitung Karin Thomas-Mundt.
Das Erreichen potentieller Teilnehmer/-innen als Hürde
Das Erreichen potentieller BilDa-Teilnehmer/-innen ist mit einigen Herausforderungen verbunden. Analphabetismus ist oft mit Scham besetzt. Dass sich Betroffene Hilfe suchen, kostet sie in der Regel viel Überwindung. Meist brauchen sie einen Anstoß durch ihnen vertraute Menschen, so dass die Sensibilisierung von Multiplikatoren und Menschen, die unmittelbar mit funktionalen Analphabeten zu tun haben, eine dauerhaft anhaltende Aktivität im Projekt war und ist. Je mehr beispielsweise Vorgesetzte, Vertraute, Pädagogen sowie Menschen in Leitungs- und Führungspositionen über das Thema informiert sind, desto eher gelingen Eintritte und dauerhafte Teilnahmen in die Kurse.
Um auf das Projekt aufmerksam zu machen und auch Multiplikatoren anzusprechen, war BilDa auch bei zahlreichen Sommerfesten oder anderen Aktivitäten in den Stadtteilen mit einem Infostand vertreten.
Bild vom Sommerfest 2019 in Arheilgen auf dem Löwenplatz
In Zusammenarbeit mit AlphaGrund und dem Grundbildungszentrum Darmstadt-Dieburg gab es zwischen 2014 und 2020 ebenfalls einige besondere Aktionen. Bei der „Tour der Grundbildung“ beispielsweise brachten 26 Radler/-innen am 05.07.2014 das Alphabet auf die Straße. Mit je einem Buchstaben des Alphabets auf dem Trikot radelten 25 Radfahrer und eine Radfahrerin von Darmstadt nach Heidelberg und zurück, um auf die Notwendigkeit von Grundbildung und den Stellenwert von Alphabetisierung hinzuweisen. Sowohl am Start, dem Haus der Wirtschaft in Darmstadt, wie auch am Ziel der Fahrt in Heidelberg, wurde mit öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen Aufmerksamkeit generiert. Eröffnet wurde der Tag von Wolfgang Drechsler, Unternehmerverband Südhessen, und Barbara Akdeniz, Sozialdezernentin der Stadt Darmstadt.
Von 2016 bis Ende 2020 hat BilDa auch mit dem Grundbildungszentrum Darmstadt-Dieburg viele Veranstaltungen gemeinsam durchgeführt. So fällt beispielsweise auch der Besuch von Fabian Hambüchen in diese Zeit. Am 08. Mai 2018 kam der erfolgreiche Kunstturner und Goldmedaillengewinner bei den Olympischen Spielen 2016, in seiner Rolle als hessischer Botschafter für das Thema Alphabetisierung und Grundbildung in die Räumlichkeiten des Bildungswerks.
Im Laufe der Jahre wurden verschiedene Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit genutzt, um z.B. durch diverse Zeitungsartikel, sowie einen Filmbeitrag in der Hessenschau und über Rundfunkbeiträge (DLF, HR, FFH) auf das Projekt BilDa aufmerksam zu machen.
Besonderes Augenmerk wurde stets auf den von der UNESCO ins Leben gerufene Welttag der Alphabetisierung, den 08. September gelegt, an dem zahlreiche Veranstaltungen umgesetzt wurden, um das Thema in die breite Öffentlichkeit zu bringen. Hier ein Beispiel aus dem vergangenen Jahr:
Im Herbst 2021 wurde anlässlich des Weltalphabetisierungstags eine Kooperation mit dem Programmkino Rex zum Film „Labyrinth der Wörter“ rund um einen erwachsenen Analphabeten geplant und umgesetzt. Gut 60 Menschen folgten der Einladung des BilDa-Teams ins Kino und kamen trotz der Pandemie zusammen, um sich über das gesellschaftlich relevante Thema Alphabetisierung zu informieren, sowie sich vom Programm unterhalten zu lassen. Barbara Akdeniz, Bürgermeisterin der Wissenschaftsstadt Darmstadt, eröffnete den Abend inhaltlich mit einem Grußwort. Auch die Presse nahm Notiz von der Veranstaltung und berichtete: es erschien am Folgetag ein großer Artikel in der Frankfurter Rundschau sowie auf ihrer Webseite. Am Weltalphabetisierungstag selbst veröffentlichte der Radiosender FFH auf seiner Südhessen-Frequenz ein kurzes Radio-Interview.
Digitale Grundbildung als neuer Eckpfeiler
Seit April 2021 gibt es bei BilDa auch die Möglichkeit, die eigenen digitalen Kenntnisse und Fähigkeiten zu vertiefen. Mit zwei wöchentlichen Gruppen gestartet, bietet BilDa seit Herbst 2021 nun an drei Terminen in der Woche Kurse in Digitaler Grundbildung an. Weil digitale Grundkompetenzen inzwischen genau wie das Lesen, Schreiben und Rechnen, eine Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht, wird den Teilnehmer/-innen hier Grundwissen im Umgang mit Smartphone, Tablet, Computer und Co. vermittelt. Außerdem wird aufgezeigt, wie die Nutzung von Lernsoftware das klassische Lernen unterstützen kann.
Michelle Merbach, pädagogische Mitarbeiterin mit Schwerpunkt digitale Grundbildung, sagt: „Es ist schön zu sehen, wie Teilnehmer/-innen Türen, die bisher für sie verschlossen waren, Stück für Stück für sich öffnen können“.
Ausblick
Unternehmen profitieren selbstredend von den Kompetenzen und Fähigkeiten ihrer Arbeitnehmer/-innen, unter ihnen sind in vielen Branchen aber auch An- oder Ungelernte, die beim Lesen, Schreiben, Rechnen oder auch im Bereich Computer und Digitales Defizite haben. Deshalb gibt es Absprachen mit Darmstädter Unternehmen, künftig gezielte arbeitsplatzbezogene Grundbildungsangebote umzusetzen.
Um den Bedarfen der Teilnehmer/-innen weiterhin gerecht zu werden, wird daneben das Kursangebot im Haus und in den Stadtteilen stetig erweitert. Mit dem wachsenden Angebot an Kursinhalten und -zeiten wächst auch der Pool an Honorarkräften.
Feste Mitarbeiter/-innen im Projekt BilDa im Laufe der Jahre:
Eugen Breining bis 2012 (dann AlphaGrund und Grundbildungszentrum vom 2016-2018)
Barbara Grimmer 2012 bis 2019
Gudrun Freund seit 2012
Marco Vorberger 2018 bis 2020
Seit April 2021 Michelle Merbach und Christian Mayer
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