Ein ganz besonderes Coaching: Abstellkleist – Beckett crasht Kleist
Darmstadt | Am 13. und 14.03.2024 hatten die Teilnehmenden des Projekts JobAct® to Connect im Darmstädter HoffArt Theater Premiere und Aufführung mit ihrem selbst geschriebenen Theaterstück „Abstellkleist“.
JobAct® to Connect ist ein Projekt für erwerbslose Menschen, die bereit sind, einen neuen Weg einzuschlagen, um ihre Persönlichkeit und Fähigkeiten zu entwickeln und (zurück) in die Arbeits- oder Ausbildungswelt zu finden. Auf diesem Weg werden sie seit Oktober 2023 bis einschließlich Juni 2024 von einem Theaterpädagogen des Trägers, der Projektfabrik Witten gGmbH und einer Bewerbungsmanagerin vom Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft e. V. begleitet. Viele der teilnehmenden Personen wurden durch die Kreisagentur für Beschäftigung, dem kommunalen Jobcenter des Landkreises Darmstadt-Dieburg in das Projekt vermittelt.
Nun haben die Teilnehmenden ein eigenes Theaterstück geschrieben und erarbeitet – eine Premiere auch für JobAct®. Sie haben Rollen entwickelt, Kostüme zusammengestellt, das Bühnenbild gestaltet und auch selbst die Rollen gespielt. Ein wahrhaft künstlerisches Projekt!
„Abstellkleist“ spielt auf einem kleinen, ländlich anmutenden Bahnsteig, wie ihn viele der Zuschauer*innen vermutlich kennen. Das Schild am Gleis zeigt bezeichnenderweise den Ortsnamen „Nirgendorf“. Hier warten drei Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, auf den 7:53 Uhr Zug nach Großstadt: Ein Gitarre-spielender Ire, ein pedantischer und sehr genervter Geschäftsmann sowie ein Odenwälder Survivalfreak. Dass der Zug nie kommen wird, ahnen sie nicht, denn die konstanten Durchsagen geben nur eine immer später werdende Ankunftszeit an: Erst hat sich ein Igel auf das Gleis verirrt, später wird dann daraus ein Ereignis zwischen Wildtier und Bahnpersonal und zu guter Letzt werden GSG 9 und Feuerwehr, die sich später verfahren wird, eingeschaltet. All diese Informationen treten nur durch den eingesprochenen Ton auf. Außer den Handlungen der Darsteller*innen passiert nichts auf der Bühne.
Nach ersten holprigen Small-Talk-Versuchen, abstrusen Momenten, in denen erwachsene Männer Gummitwist spielen oder sich unspektakuläre Witze erzählen, geraten die unterschiedlichen Charaktere zunehmend aneinander, bis sich die Situation in einen tänzelnden Kampf steigert und letztlich in absolute Resignation führt. Begleitet werden die Szenen durch den im Hintergrund anwesenden Bahnmitarbeiter. Er ergänzt und kommentiert die Handlung durch schräge und teils unverständliche philosophische Beiträge oder lockert die Szenen durch seine kommentarlose Körpersprache auf.
Zwischen den Szenen brechen Zitate aus Kleists „Der zerbrochne Krug“ das Spiel auf und schaffen somit eine komplett neue Darstellungsebene. Die Teilnehmenden schlüpfen aus ihren Rollen, treten an den Bühnenrand und lesen in kalt-blauem Licht einige der Kernszenen aus Kleists Lustspiel vor.
Sowohl der sprachliche Wechsel zum gesprochenen Bahnhofsext als auch das Heraustreten aus der gespielten Rolle verlangten den Teilnehmenden Mut und Flexibilität ab, was sie bravourös meisterten.
Kurz vor Schluss betritt die fünfte Darstellerin die Bühne, um Erzählungen aus dem Leben beizutragen – über ihre Plektrum-Sammlung oder eine Flasche Zitronenlimonade, die nicht geschmeckt hat. Geschichten, die so klar erzählt werden, dass sie vermutlich alle Zuschauer*innen gut nachempfinden können.
Das Stück endet damit, dass sich die Wartenden erst in Skelette verwandeln und dann in Luft auflösen – um Platz zu machen für die Nächsten, die glauben, dass in Nirgendorf irgendwann ein Zug kommt.
Der Weg hin zu diesem Theaterstück hat die Gruppe, die sich noch vor wenigen Monaten fremd war, zusammengeschweißt. Jede*r Teilnehmende findet für sich einen Platz im Projekt – sei es auf oder hinter der Bühne und hat somit die Aufführungen am 13. und 14.03.2024 zu einem vollen Erfolg gebracht.
Bildquelle: Marco Vorberger (BWHW)
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