Klettern auf Urzeit-Felsen
Michelstadt | „Wir planen einen Ausflug, der nichts kostet“, so der Auftrag an die Teilnehmenden der BvB (Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme) Michelstadt. Auch wenn natürlich der Kletterpark Darmstadt, eine städtische Veranstaltung oder ein Schwimmbadbesuch zunächst oben auf der Wunschliste standen, nahmen die Jugendlichen das Planen einer kostenlosen Ausflugsvariante gerne und mit viel Euphorie wahr.
Klar war schnell, dass eine Wanderung in der Umgebung, eine Stadtrallye in Michelstadt oder ein sportlich aktiver Rundgang im nahegelegen Bad Königer Kurpark zu nah und zu „langweilig“ sei. Sofort einig waren sich die Teilnehmenden hingegen bei einem Ausflug zum rund 40 Kilometer entfernten Felsenmeer nahe Lautertal-Reichenbach.
Per ÖPNV standen keine Reisekosten an, denn alle waren im Besitz des Hessen- beziehungsweise Neun-Euro-Tickets. Zudem versprach das Felsenmeer viel Kletterspaß. An- und Abreise wurden per RMV-Fahrplan geklärt: von Michelstadt mit dem Zug nach Reinheim und von dort aus eine längere „Überland-Busfahrt“ nach Reichenbach. Rund zwei Stunden mussten jeweils für Hin- und Rückreise eingeplant werden.
Am Felsenmeer wurde zunächst das Umfeld erkundet: punktueller Nachlass früherer Steinmetzarbeiten, viele römischer Herkunft, eine große mechanische Steinsäge und später die (höher gelegene) die Siegfrieds-Quelle. Dann ging es los mit dem Aufstieg.
Die Felsen erstrecken sich wie ein breiter Bergfluss durch den Wald über mehrere hundert Meter den 545 Meter hohen Felsberg entlang. Die Felsen können umwandert, aber auch per Klettern erklommen werden. Letzteres war das eigentliche Highlight des Tages. Auch beim Abstieg ließen sich einige das Klettern nicht nehmen. Körperlich gut ausgepowert und nach jeder Menge Spaß trat die Gruppe die Heimreise an. Mit diesem, selbst geplanten, Ausflug hatten die Jugendlichen wirklich einen Volltreffer gelandet.
Auch am nächsten Tag drehte sich eine Unterrichtseinheit um das Felsenmeer: Wie kamen die Flut der gigantischen Felsen aus dunkelgrauem Quarzdiorit dort hin? Der Sage nach sollen es Riesen gewesen sein, die sich dort per monumentalem Steinwurf bekämpften. Anders und schlüssiger die Theorie der Geologen: die ältesten Gesteine des Odenwaldes, wegen seines Alters auch Kristalliner Odenwald genannt, insbesondere im Lautertal, sind vermutlich mehr als 500 Millionen Jahre alt. Durch das Zusammenschieben der Urkontinente vor etwa 350 Millionen entstand der Urkontinent Pangaea. Im Zuge dessen ist auch der Odenwald entstanden, allerdings auf der Höhe des Äquators, also weit entfernt vom heutigen Standort.
Das Quarzdiorit, aus dem das Felsenmeer besteht, ist ein kristallines Gestein, was vermutlich etwas über zehn Millionen Jahre brauchte, um abzukühlen. Als dann im Mesozoikum, dem Erdmittelalter (Trias-, Jura- und Kreidezeit etwa von vor 250 Millionen bis vor 66 Millionen Jahren) der Meeresspiegel global anstieg, wurde der Odenwald überschwemmt und mit Ablagerungen überdeckt. Es dauerte viele Millionen Jahre, um dieses Deckgebirge, einst so hoch wie die Alpen, abzutragen. Weitere Kontinentalverschiebungen und der Einbruch des Rheingrabens vor etwa 50 Millionen Jahren ließen die großen Felsbrocken aus Rissen hervorquellen. Freiliegend und Wasser wie Wind ausgesetzt bekamen die Felsen ihre typische abgerundete Form. Nachdem sich der Odenwald bei der jüngsten Eiszeit vor etwa 12.000 Jahren in eine Permafrostzone verwandelte, lösten sich beim Abtauen die Felsbrocken gleich Gletschern und glitten so bis ins Tal, womit die Felsenmeere entstanden. Tatsächlich gab es einst mehrere in der Region, weshalb sich hier viele Steinmetze, teils auch von den Römern, niederließen und die Felsbrocken abtrugen und bearbeiteten. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren hier rund 800 Steinmetzte tätig. Das heutige verbliebene Felsenmeer steht unter Denkmalschutz, der ganze Felsberg unter Naturschutz, womit diese grauen Urzeit-Zeugen der Nachwelt erhalten bleiben.
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